Kann die Kirche Heimat sein

04.06.2023

Predigt von Pastor Michael Schirmer in St. Johannis Altona.

Heimathöhle Religion

Die Geschichten meiner Heimathöhle singen keine betörenden Lieder, wie es andere Heimatgesänge tun. Sie haben ja einen Inhalt. Ich liebe sie wegen ihrer rotzigen Frechheit, mit der sie die Götzen und die falschen Wichtigkeiten verlachen … Ich glaube, unsere eigentliche Höhlenkrankheit ist, dass wir die Aufsässigkeit dieser Erzählungen nicht mehr wahrnehmen. Götzen zu verlachen ist aufsässig. Die Erzählungen vom Sturz der Tyrannen sind aufsässig. Die Behauptung des Rechts für Rechtlose ist aufsässig. Es gibt nicht viele Höhlen, in denen solche Geschichten kursieren.

Wer handelt, erfährt den Heimatgehalt solcher Höhlen, nicht der, der darüber reflektiert.
Die Schönheit eines Psalms erfahre ich erst beim Beten,
die Schönheit eines Chorales von Paul Gerhardt erfahre ich erst, wenn ich ihn singe.
Die oft karge Schönheit eines Gottesdienstes erlebe ich nur, wenn ich Teil nehme.

Es leuchtet ein, was man tut, nicht nur, was man betrachtet.

Der Glaube ist auch deswegen schwer geworden, weil er seine selbstverständliche religiöse Praxis verloren hat und weil er sich nicht mehr in Gewohnheiten ausdrückt.In der Gewohnheit des Betens, in der Gewohnheit, religiöse Zeiten zu respektieren, in der Gewohnheit, die Texte der eigenen Tradition zur Kenntnis zu nehmen; in der Gewohnheit des Gottesdienstes. In den Gewohnheiten – ich wage dieses umstrittene Wort – genieße ich nicht nur die Wärme meiner Höhle, ich erzeuge sie.

Religion verblasst, weil sie immer weniger Übung findet.

Gewohnheiten befreien uns von der subjektiven Zufälligkeit unserer Stimmungen und Wünsche. Wann war die alltägliche Praxis von Religion je spannend?

Graubrot, Arbeit. Faszination bedeutet oft die Kapitulation des Denkens vor dem Spektakel.

Meine Religionshöhle ist mir auch heimatlich, weil ich sie mit anderen teile.
Im Glaubensgasthaus mit meinen lebenden und toten Geschwistern.

Glaubenshöhle: „Kirche“
Ich bin in ihr nicht ganz zu Hause. Es ist uns nicht versprochen, irgendwo ganz zu Hause zu sein. Sie ist ein Rohbau jener Heimat die wir erwarten. Der verweist mich auf die Stadt, in der die Tränen abgewischt sind und der Tod, Leid und Geschrei und Schmerz nicht mehr sind.

Bis dahin sind alle Heimaten mehr Unterstände als wohnliche Orte, aber immerhin.

Fulbert Steffensky

Der Ort an dem du stehst

Es gibt etwas, was man an einem einzigen Ort in der Welt finden kann. Es ist ein großer Schatz, man kann ihn die Erfüllung des Daseins nennen. Und der Ort, an dem dieser Schatz zu finden ist, ist der Ort, wo man steht.
Hier, wo wir stehen, gilt es, das verborgene göttliche Leben aufleuchten zu lassen. Im Gang unseres Alltags ein uns obliegendes Werk mit heiliger Intention verrichten. Unterm Herd unseres Hauses ist unser Schatz vergraben.
Eben dies, so glauben wir, ist Gottes Gnade, dass er sich vom Menschen gewinnen lassen will, dass er sich ihm in die Hände gibt. Gott will zu seiner Welt kommen, aber er will zu ihr durch den Menschen kommen. Dies ist das Mysterium unseres Daseins, die übermenschliche Chance des Menschengeschlechts.
Gott wohnt, wo man ihn einlässt.
Man kann ihn aber nur einlassen, wo man steht, wo man wirklich steht, da wo man lebt, wo man ein wahres Leben lebt. Pflegen wir heiligen Umgang mit der uns anvertrauten kleinen Welt, helfen wir in dem Bezirk der Schöpfung, mit der wir leben, der heiligen Seelensubstanz zur Vollendung zu gelangen, dann stiften wir an diesem unseren Ort eine Stätte für Gottes Einwohnung, dann lassen wir Gott ein.
Der Ort, an dem ich stehe kann eine Art Heimat werden, wenn Gott einkehrt.
Martin Buber: Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre

Predigt von Pastor Michael Schirmer zum Anhören

Kontakt

Pastor Michael Schirmer
Telefon: 040 - 4320 0136
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

 

 

Login