Podcast: Der Mensch wird am Du zum Ich

08.01.2023

Predigt von Pastor Michael Schirmer in St. Johannis Altona.

Psalm 139 verdeutscht von Martin Buber

DU, du erforschest mich und du kennst, du selber kennst mein Sitzen, mein Stehn, du merkst auf mein Denken von fern, meinen Pfad und meine Rast sichtest du, in all meinen Wegen bist du bewandert. Ja kein Raunen ist mir auf der Zunge, da, schon erkannt DU, hast dus allsamt. Hinten, vorn engst du mich ein, legst auf mich deine Faust. Zu sonderlich ist mir das Erkennen, zu steil ist's, ich übermags nicht. Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, wohin vor deinem Antlitz entlaufen! Ob ich den Himmel erklömme, du bist dort, bettet ich mich im Gruftreich, da bist du. Erhübe ich Flügel des Morgenrots, nähme Wohnung am hintersten Meer, dort auch griffe mich deine Hand, deine Rechte fasste mich an. Spräche ich 'Finsternis erhasche mich nur, Nacht sei das Licht um mich her', auch Finsternis finsterte dir nicht, Nacht leuchtet gleichwie der Tag, gleich ist Verfinsterung, gleich Erleuchtung. Ja, du bists, der bereitete meine Nieren, mich wob im Leib meiner Mutter! Danken will ich dir dafür, dass ich furchtbar bin ausgesondert: sonderlich ist, was du machst, sehr erkennts meine Seele. Mein Kern war dir nicht verhohlen, als ich wurde gemacht im Verborgenen, buntgewirkt im untersten Erdreich, meinen Knäuel sahen deine Augen, und in dein Buch waren sie geschrieben, die Tage, die einst würden gebildet, als aber war nicht einer von ihnen. Und mir, wie köstlich, Gottherr sind deine Gedanken, ihre Hauptstücke wie kernkräftig! Ich will sie buchen, ihrer wird mehr als des Sands!- ich erwache, noch bin ich bei dir. Erforsche, Gottherr, mich, kenne mein Herz, prüfe mich, kenne meine Sorgen, sieh, ob bei mir Weg der Trübung ist, und leite mich auf dem Weg der Weltzeit!

„Gott wird durch jedes Wort eingeschränkt, das ihn nicht zum Empfänger, sondern zum Gegenstand hat; nicht von Gott, sondern von der Begegnung sprechen wir.“ „Ja,... es ist das beladenste aller Menschenworte. Keines ist so besudelt, so zerfetzt worden. Gerade deshalb darf ich nicht darauf verzichten. Die Geschlechter der Menschen haben die Last ihres geängstigten Wesens auf dieses Wort geälzt, sie haben dafür getötet und sind dafür gestorben; es trägt ihrer aller Fingerspur und ihrer aller Blut. Wo fände ich ein Wort, das ihm gliche, um das Höchste zu bezeichnen! Nähme ich den reinsten, funkelndsten Begriff aus der innersten Schatzkammer der Philosophen, ich könnte darin doch nur ein unverbindliches Gedankenbild einfangen, nicht aber die Gegenwart dessen, den ich meine, dessen, den die Geschlechter der Menschen mit ihrem ungeheuren Leben und Sterben verehrt und erniedrigt haben. Ihn meine ich ja, ihn, den die höllengepeinigten, himmelsstürmenden Geschlechter der Menschen meinen. Gewiß, sie zeichnen Fratzen und schreiben 'Gott' darunter, sie morden und sagen 'im Namen Gottes'. Aber wenn aller Wahn und Trug zerfällt, wenn sie ihm gegenüberstehen im einsamsten Dunkel und nicht nicht mehr 'Er, Er', sagen sondern 'Du, Du' seufzen, 'Du' schreien, sie alle das Eine, und wenn sie dann hinfügen 'Gott', ist es nicht eben doch doch der wirkliche Gott, den sie alle anrufen, der Eine Lebendige, der Gott der Menschenkinder?! Ist nicht er es, der sie hört? Der sie – erhört?“ Und ist nicht eben dadurch das Wort 'Gott', das Wort des Anrufs, das zum Namen gewordene Wort, in allen Menschensprachen geheiligt?“
Martin Buber zitiert aus: Karl-Josef Kuschel, Martin Buber, S.155

Predigt von Pastor Michael Schirmer zum Anhören

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Pastor Michael Schirmer
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