Drei Monate Sabbat


Gedanken zum Ausstieg auf Zeit, ohne Urlaubsfotos.

Eine Auszeit ist ein Geschenk und gleichzeitig eine Aufgabe. Ich möchte derzeit, auch nach der Rückkehr aus dem Sabatical, kein grundlegend anderes Leben führen. Das ändert aber nichts daran, dass die Zeit für die Liebe, die Freundschaft, die Musik und das Kochen auch bei einer erfüllenden beruflichen Aufgabe immer mal knapp werden kann. Work-und-dann-alles-andere-Balance geht nur wenigen leicht von der Hand.

Nun aber: drei Monate Auszeit. Unsere Kirche bietet den Pastor*innen eine solche Sabbatzeit an und der Gemeinde eine Vertretung. Mal weg sein ohne schlechtes Gewissen.

Die erste Aufgabe: Dann mach mal einen Plan, bei völliger Unerfahrenheit, wie mit einem solchen Zeitraum umzugehen sein könnte. Meine Frau Anette und ich fanden ein Ziel, das auch in diesen Zeiten - Januar bis März - aufsuchbar war. Ganz woanders sein, in der Fremde, nicht so viel unternehmen, sich anderen Dingen widmen, vieles weglassen, mit wenig Gepäck unterwegs sein. Jedenfalls will auch dieses andere Leben erkundet und erlernt und ja auch gestaltet werden. Nach einigen Tagen schon wäre mir mal sehen, was der Tag so bringt, doch zu wenig gewesen.

Erst eine Vermutung, dann eine Erkenntnis: Es ist nicht immer entscheidend, was du tust, sondern dass du es ohne Zeitdruck tun kannst. An jedem Tag, ohne Ausnahme bin ich dankbar dafür und freue mich darüber. Zeit für die Liebe ist nun reichlich und Gelegenheit für die Erfahrung: Es ist miteinander auch mit viel Zeit schön.

Nie reise ich ohne Instrument. Sich mehrere Stunden am Tag mit Musik zu beschäftigen, mal zielgerichtet, proben, Stücke lernen, den Meistern etwas ablauschen, dann aber auch einfach mal hören, was sich entwickelt, wenn du etwas zu spielen anfängst, wunderbar. So viel Zeit für Musik haben Profis und Pensionäre, eine Kostbarkeit für ein Vierteljahr.

In der Fremde sein. Mit den Früchten des Landes am Herd etwas anfangen. Mit der Sonne aufstehen und sich legen. Wir kommen so durch mit dem, was als Spanisch durchaus erkannt wurde, in Costa Rica. Anderen Menschen begegnen, eine Übersetzung-App hilft bei Gesprächen, die geduldigere Landsleute mit uns führen oder mit denjenigen, die Geld verdienen wollen.

Ob ich gelernt habe, mich als sichtlich Privilegierter in diesem Land zu bewegen? Gehört klar auf die Aufgabenseite. Sicher bin ich mir nicht. Ohne das materielle Privileg wären wir nicht dort, umgekehrt begegnet man hierzulande kaum einem Menschen aus Costa Rica.

Das Land hat einiges unternommen, wieder Gäste beherbergen und bewirten zu können, die Freundlichkeit der Menschen ist herzerwärmend.

Von einer Gastgeberfamilie erfuhren wir von einem mehrmonatigen Lockdown im vergangenen Jahr, drei Kinder in der Homeschool, wohl auch deshalb bietet die Situation nun mehr Freiheiten, als anderswo.

Costa Rica ist in entscheidenden Phasen seiner Geschichte offenbar gut regiert worden. 1949 wurde die Armee abgeschafft und die frei gewordenen Mittel sind seither der Bildung und der Kultur gewidmet. Mehr als ein Viertel des Landes ist in Nationalparks geschützt.

Nachhaltigkeit ist ein zentrales Leitbild politischen Handelns. Und wie sehr Flora und Fauna ein Land und das Lebensgefühl prägen, kann ein Hamburger nicht ahnen, aber immerhin bestaunen.

Für drei Wochen waren wir zu viert. Unser Sohn Paul und dessen Freundin haben diese Zeit mit uns verbracht. Ohne sein Auslandsjahr vor zehn Jahren wären wir wohl nicht auf die Idee gekommen, dorthin zu reisen. Er zeigte uns das Land, das er lieben gelernt hat, wir lernten die Frau kennen, mit der er lebt, anders, als es zu den üblichen Gelegenheiten möglich gewesen wäre.

Wie oft habe ich an meine Arbeit gedacht? Gar nicht selten, zumal ja auch die Tatsache, vertreten zu werden, durchaus das Risiko birgt, dass meine Abwesenheit nicht sonderlich oder unangenehm auffällt.

Habe ich über Änderungen in meinem Leben nachgedacht? Das gehört ja wohl zu den Pflichtfragen in einer Auszeit. Doch schon, aber sehr zahlreiche konkrete Ansatzpunkte haben sich nicht gezeigt oder als notwendig erwiesen. Der Prüffrage, ob das weniger mit der Vermutung, am richtigen Platz zu sein zu tun hat und nicht doch eher der Trägheit verdankt ist, wurde hierbei nicht ausgewichen.

Fällt es leicht, wieder an die Arbeit zu gehen? Es geht nicht von selbst, aber es ist nicht schwerer, als ein Sabbatical zu beginnen. Jedenfalls ist es nach einiger Zeit schön, wieder tätig zu sein. Allen gönne und empfehle ich, wenn's irgend geht, einen Ausstieg auf Zeit.

[Text: Michael Schirmer. Foto: Archiv.]

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