Unterwegs in der Wüste. Ein Erfahrungsbericht

Im Frühjahr war ich unterwegs – in der Wüste Sahara in Tunesien. Ein lang gehegter Traum hatte sich erfüllt, als ich mich mit zehn Frauen, zwei Beduinen und zwei Kamelen zu einem Tagesmarsch in die Wüste aufmachte.

Ich war auf dem Weg in ein zweiwöchiges Wüsten- Retreat, begleitet von Bettina, die seit 20 Jahren solche Rückzugsreisen leitet. Ich wollte die Schönheit und Kargheit der Wüste erfahren, aber auch mir selbst näherkommen und Dinge in meinem Leben klären.
Die Geschichte von der „Versuchung Jesu in der Wüste“ (Mt 4, 1-11) war ein wichtiger Impuls zu dieser Reise. Da geht Jesus in die Wüste, 40 Tage lang, um sich vor seinem öffentlichen Wirken innerlich auf Gott und seine Kraft einzustimmen. Es wird erzählt, dass es nicht angenehm war: Er litt Hunger, und immer wieder kam der Versucher zu ihm, um ihn aus seiner Ruhe herauszubringen. Doch Jesus hält dem Störenfried stand, bleibt im Gebet, und die Engel Gottes stehen ihm bei.
Gewissermaßen Jesus ganz nah, schlug ich zwischen den Dünen mein Zelt auf. Das war nun mein Ort, an dem ich die nächsten Tage im Schweigen verbringen würde, mit schlichtem Essen, das uns die Beduinen Mabrouk und Mohammad servierten, und täglich einer Flasche Wasser zum Waschen und Zähneputzen. Die Mahlzeiten nahmen wir – auf einer Matte am Boden hockend – gemeinsam schweigend ein. Jeden Tag konnten wir eine halbe Stunde mit Bettina sprechen über das, was in der Stille auftauchte. Jeden Morgen trafen wir uns zum Sonnenaufgang auf einer Düne zur Meditation. Den Tag beschlossen wir ebenfalls mit Meditation und Gesang unter sternklarem Himmel.
In den ersten Tagen schreibe ich in mein Tagebuch: „Ich sitze da und lausche. Das ist alles. Ich tue gar nichts. Immer weniger Gedanken tauchen auf. Ich lausche in diese unfassbare Stille der Natur. Mitten in der Weite der Wüste hüllt sie mich ein und ich fühle mich geborgen. Ich erinnere mich an den Satz: Schweigen ist die Sprache Gottes. Mit jedem Atemzug schöpfe ich Stille, wie aus einer Quelle. Sie durchdringt mich bis tief in meinen Körper hinein. Je mehr Stille in mich einströmt, desto weiter werde ich in meinem Inneren.“
Doch gleich neben dieser großen Stille und Weite wird es immer wieder laut und eng in mir. Ich bin erstaunt und auch erschrocken, was für längst erledigt geglaubte Erfahrungen aus meinem Leben hochkommen und meinen Frieden stören. Ich werde traurig, manchmal auch wütend, manches schmerzt. Aus der Geschichte über Jesus weiß ich, das sind Dämonen, die mich versuchen. Ihre Stimmen aus meinem Inneren kann ich nicht abstellen oder bekämpfen. Ich muss sie ernstnehmen und durch manch schmerzliche Erfahrung noch einmal hindurchgehen – Gott sei Dank begleitet von Bettina.
Jesus selbst hat dem Versucher jeweils ein Bibelwort entgegen gehalten, wie ein Mantra: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, als er hungrig war und der Versucher ihn aufforderte, Steine in Brot zu verwandeln. So war ich froh, dass ich meinen Versuchern auch etwas entgegen halten konnte: mein Herzenswort, ein biblisches Wort, das ich in der Meditation mit dem Herzensgebet mantrisch, also immer und immer wieder im Stillen bete.
Das Herzensgebet ist ja auch in der Wüste entstanden. Im vierten Jahrhundert wanderten Menschen in die Wüste Ägyptens und Syriens aus, weil sie der Institutionalisierung des Christentums entkommen wollten. Diese Wüstenmütter und Wüstenväter lebten in Einsiedeleien in der Wüste, um „ohne Unterlass“ im Gebet zu sein. Bald merkten sie, wie störende Gedanken sie immer wieder aus der Verbindung zu Gott herauswarfen. Deshalb konzentrierten sie sich auf ein Mantra, in dem sie sich innerlich verankerten.
Die Geschichte Jesu endet: „Da ließ der Versucher von ihm ab. Und Engel kamen zu ihm und dienten ihm.“ Auch ich erfuhr im Laufe meiner Wüstenzeit diese Wende.
In meinem Tagebuch halte ich fest: „Gerade eben ist die Sonne aufgegangen – glänzend rotgold sendet sie ihr Licht zu mir oben auf der kalten Düne. Mein Gesicht taucht ein ins Morgenrot. Wie am ersten Schöpfungstag. Und Psalmverse werden lebendig und wahr: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. (...) Nähme ich Flügel der Morgenröte und stünde am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich halten“ (Psalm 139).
Ihnen, lieber Leser und liebe Leserin, wünsche ich, dass auch Sie behütet und bewahrt bleiben, durch manche Wüstenzeit hindurch immer wieder ins Morgenrot geleitet werden.

Eine gesegnete Adventszeit wünscht Ihnen Irmgard Nauck

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